Interview mit Michael Schlicksupp, Präsident des Badischen Leichtathletik-Verband über die Hauptprobleme der Leichtathletik und wichtige Themen
Karlsruhe (blv). Eine der ersten Amtshandlungen des neu gewählten BLV-Präsidenten Michael Schlicksupp war es, sich einigen Fragen zu seinen Vorhaben und den Herausforderungen, denen er sich als BLV-Präsident gegenübersieht, zu stellen.
Freuen Sie sich schon auf ihr neues Amt?
Michael Schlicksupp: Ja klar. Ich habe in den letzten Wochen schon viel Unterstützung gespürt und wir haben durch die Kontinuität im Präsidium und ein engagiertes Team in der Geschäftsstelle eine hervorragende Basis, die erfolgreiche Arbeit des scheidenden Präsidenten Philipp Krämer fortzusetzen. Andererseits habe ich durchaus Respekt vor der neuen Aufgabe.
Eigentlich ist doch gar nicht so viel neu, Sie waren ja schon bisher durch ihren Vorsitz im Landesausschusses Leistungssport (LAL) der Leichtathletik Baden-Württemberg (LABW) mit den meisten verbandspolitischen Fragen befasst.
Michael Schlicksupp: Ja das stimmt, und deshalb werde ich sicher nicht zu viel Einarbeitungszeit in diese Themen brauchen. Allerdings hat auch der Württembergische Leichtathletik-Verband neu gewählt. Dort hat es einige personelle Veränderungen gegeben und ich bin sehr zuversichtlich, dass die Zusammenarbeit dadurch neue, positive Impulse bekommt. Wir überlegen, schon in der nächsten Zeit eine gemeinsame Sitzung beider Präsidien durchzuführen.
Was ist dann neu für Sie?
Michael Schlicksupp: Das ist vor allem die Zusammenarbeit mit den Präsidenten der anderen Landesverbände. Da kenne ich tatsächlich fast keinen. Ende Oktober steht eine Klausurtagung der Präsidenten an und ich freue mich sehr auf eine konstruktive Diskussion. Durch die Leistungssportreform hat sich das Gewicht innerhalb des DLV stark in Richtung Hauptamt verschoben. Die Landesverbände haben nur noch über die Mitgliederversammlung, die jetzt im November stattfindet, und auch nur indirekt Einfluss auf Entscheidungen des hauptamtlichen Vorstandes. Dass dort nicht alles so läuft, wie wir uns das
wünschen, hat ja schon die Diskussion über die Ergebnisse bei der WM und EM gezeigt. Allerdings war da auch viel unsachliche Kritik dabei. Ich hoffe sehr, dass es hier zu einer offenen und sachlichen Diskussion kommt.
Wo liegen denn Ihrer Meinung nach die Hauptprobleme der Leichtathletik?
Michael Schlicksupp: Oh je. Darüber könnte ich jetzt einen langen Vortrag halten. Vieles liegt außerhalb unseres Einflusses. Da ist zum einen die gesellschaftliche Entwicklung, dass leistungssportliches Training in einem jugendlichen Umfeld wenig cool ist. Leichtathletik ist aber nun mal auf individuelle Leistung ausgerichtet
und die Bereitschaft sich darauf einzulassen nimmt, auch vor dem Hintergrund zunehmender schulischer Belastung, ab. Da haben es Mannschaftssportarten erheblich leichter. Das Team spielt auch, wenn ein Einzelner mal eine Woche nicht trainiert. Vor allem aber gibt es bei den Ballsportarten Angebote auch jenseits des Leistungssports zu spielen. Bei Leichtathleten endet die Karriere häufig nach dem Schulabschluss im Alter von 18 Jahren, wenn die Person nicht in einem Landes- oder Bundeskader ist. Wir haben keine attraktiven Trainings- und Wettkampfangebote für alle anderen. An den Universitäten zum Beispiel gibt es so gut wie keine Förderung. In den USA ist das ganz anders. Da beginnt es in diesem Alter erst richtig. Dort hat jede Uni ihr Leichtathletik-Team.
Um welche Probleme sollte sich denn der DLV Ihrer Meinung nach kümmern?
Michael Schlicksupp: Ich glaube, dass es im Bereich Training und Trainingsplanung gar keine so großen Probleme gibt. Das erledigen sowieso zu 50 Prozent die Vereinstrainer. Meines Erachtens müsste man dringend versuchen politischen Einfluss auf die Lehrerausbildung an den Universitäten und den Sportunterricht an den Schulen zu nehmen. Was da heute mitunter als Ergebnis im Sportunterricht zu sehen ist, ist abenteuerlich. Wo finden denn noch Bundesjugendspiele statt – und wenn ja, wie? Und dann ist da noch das Feld der Medienpolitik. Wo kann ich denn heute noch im Fernsehen Leichtathletik sehen? Selbst im Pay-TV findet man unsere Sportart kaum noch. Die WM in Eugene musste man im Livestream bei YouTube suchen. Jetzt haben wir die Deutschen Meisterschaften
verschoben, weil ARD und ZDF da Frauenfußball zeigen wollen. Da stimmt doch etwas nicht! Dann beschäftigt der DLV zwar eine Marketingagentur. Aber außer, dass die Mitarbeiter jetzt managementmäßige Titel haben und der Vorstand verquaste Mitteilungen von sich gibt, merke ich nicht viel davon. Wo war denn die Werbekampagne im Umfeld der EM in München?
Diese Fragen können ja von Baden aus nur bedingt beeinflusst werden. Wo liegen denn hier Ihre Schwerpunkte?
Michael Schlicksupp: Auch wir haben genügend Baustellen. Wir müssen uns zum Beispiel Gedanken machen, wie wir unsere Wettkampf- und Meisterschaftsformate attraktiver machen können. Das dauert oft zu lange, von der Anreise bis zur Siegerehrung. Da haben es die Ballspielsportarten einfach leichter. Nach 60 Minuten ist im Handball alles vorbei. In der Kinderleichtathletik sind wir da schon weiter. Mannschaftswettkämpfe können in einer Altersklasse in zwei Stunden über die Bühne gehen. So muss das sein. Oft liegt es ja an fehlendem Personal, an Kampfrichtern und Helfern, dass alles etwas länger dauert als es sein müsste! Es fehlt auch an Trainern und Übungsleitern in den Vereinen – überall. Das können wir erst mal nicht ändern. Aber was wir tun können, ist, die Menschen, die in irgendeiner Funktion tätig sind, als Teil der Leichtathletik-Familie wahrzunehmen und wertzuschätzen. Das kann jeder Einzelne, indem man sich
schlicht bedankt. Der Athlet beim Trainer. Der Trainer beim Kampfrichter. Eltern beim Trainer. Das können wir als Verband auch, indem wir Trainer und Kampfrichter in Siegerehrungen einbeziehen, nennen oder ehren. Hierzu haben wir schon ein paar Ideen.
Trotzdem bleibt das Problem der fehlenden ehrenamtlichen Mitarbeiter und Helfer. Wie soll sich das ändern?
Michael Schlicksupp: Ich glaube, dass es immer noch viele Menschen gibt, die ihre Fähigkeiten und Talente in unsere Sportart einbringen wollen. Wir müssen ihnen aber auch die Gelegenheit geben. Das Problem ist, dass sich immer weniger binden wollen. Ein Amt verpflichtet und schränkt ein. Wir sollten diesen Leuten Angebote machen, sich bei einzelnen Projekten einzubringen oder sich einem abgegrenzten Thema zu widmen.
Ein Beispiel: Wir haben in diesem Jahr ein Team gesucht, das die Livestreams bei Meisterschaften macht. Von der Kamera über das Mischpult bis zum Kommentieren. Die haben wir durch einen Aufruf über Instagram und unsere Internetseite gefunden und die haben das super gemacht. Wir wollen jetzt
versuchen diese Engagierten weiter an diesem Thema zu halten. Damit sie das auch im nächsten Jahr wieder machen. Dazu gibt es eine WhatsApp-Gruppe, in der alle sind. Hier werden Informationen ausgetauscht, neue Projekte geplant und abgefragt, wer was wann machen kann und will.
Gibt es noch mehr Themen, die Sie so angehen wollen?
Michael Schlicksupp: Ja, wir wollen zum Beispiel alle, die sich mit Wettkampftechnik beschäftigen, zusammenbringen. Da geht es dann um alles, was mit Seltec zusammenhängt, um Wettkampfbüroorganisation, aber auch die Zeitmessung. Hier soll es Informationen geben und Hilfe bei Problemen. Aber vielleicht auch mal eine Anfrage zum Aushelfen. Wenn aus allen Regionen Menschen in der Gruppe sind, kann das jedem nutzen. Weitere Themen wären für mich die Organisation von Freizeiten und Camps, wie jetzt bei der EM in München oder das angesprochene Thema der Veränderung von Wettkampf-Formaten. Auch das ganze Feld der Kinderleichtathletik. Dazu kommen Themen wie Doping-Prävention, Sportpsychologie und der Umgang mit sexualisierter Gewalt. Fragen um die Zusammenarbeit mit Teilnehmern und Veranstaltern von Lauftreffs, Volks- und Straßenläufe könnten gemeinsam diskutiert werden. Schule und Sport wäre ein weiteres Thema, Bundesjugendspiele und „Jugend trainiert für Olympia“.
Wie soll das funktionieren?
Michael Schlicksupp: Wir denken, wir werden einige dieser Gruppen anstoßen. Sie werden von Mitarbeitern der Geschäftsstelle oder einem Präsidiumsmitglied gegründet. Wir werden das in unseren Medien veröffentlichen und wer will kann sich ganz einfach einklinken. Dann könnte das wie bei einem Schneeballsystem weiter gehen. Es gibt dabei keine Verpflichtung zu irgendetwas. Aber was ich mir davon verspreche, ist, dass viele ihr Wissen und ihre Kompetenz einbringen. Dass viele einen kleinen Teil an Arbeit übernehmen. Wenn das gelingt, können wir wahrscheinlich einiges bewegen.
Wie soll denn der Austausch in den Gruppen stattfinden?
Michael Schlicksupp: Zum einen erst Mal über WhatsApp, aber dann über Videokonferenzen. MS Teams, Skype, Zoom oder Ähnliches. Außerdem stelle ich mir einmal im Jahr auch ein persönliches Treffen vor. Das können die Gruppen aber selbst entscheiden. Was wir auf alle Fälle vorhaben, ist eine Art Startevent. Am 18. und 19. November wollen wir Interessierte in die Sportschule nach Steinbach einladen und einige dieser Themen zur Diskussion stellen.